Siemens: Messdatenaus­wertung in der Bahnstrom­versorgung mit FlexPro Software

05.09.2016

Standardsoftware meistert aufwändige Simulationen im Bahnbetrieb

Simulationen erzeugen große Datenmengen. Aus der Vielzahl von Daten sind die richtigen Kenngrößen herauszuarbeiten, um den Zweck, die Auslegung von Bahnstromversorgungen, zu erfüllen. Durch den Einsatz von Standardsoftware für die Messauswertung können diese Anforderungen erfüllt werden und die Entwickler von Simulationssoftware können sich auf ihre Kernaufgabe konzentrieren.

Die Auslegung von elektrischen Bahnstromversorgungsanlagen ist mit normalen Berechnungen nur sehr schwer durchführbar. Die Interaktion von zahlreichen Komponenten ist sehr komplex. Um nicht zu stark überdimensionieren zu müssen, wird auf Simulationen zurückgegriffen. In der Simulation lässt man Züge nach einem Fahrplan fahren. Sie benötigen dafür elektrische Antriebsleistung oder liefern sie beim Bremsen wieder zurück. Die dazu nötigen Ströme fließen über das Versorgungsnetzwerk.

Es sind viele Definitionen notwendig, um realistische Simulationen laufen zu lassen:

  • Topografie:
    Lage der Haltestellen, Steigungen, Kurven, Tunnel, Brücken, Geschwindigkeitsbegrenzungen …
  • Topologie:
    Zusammenschaltung der elektrischen Komponenten des Bahnstromversorgungsnetzes
  • Fahrzeugdaten:
    Gewichte, rotierende Massen, Fahrwiderstände, elektrische Kenngrößen, Wirkungsgrade
  • Fahrpläne (Abb.1)
  • Varianten

Es wird das Verhalten ohne Ausfall und mit Ausfall von je einer von bis zu 30 Unterstationen berechnet.

Abb. 1: Grafische Darstellung eines Fahrplanes als Weg über der Zeit (Linke Skala:Weg; Rechte Skala: Haltestellen. Jede Linie ist ein Zug, waagerechte Abschnitte sind Halte ).

Die Berechnung wird in Zeitschritten durchgeführt. Zu jedem Zeitpunkt wird das elektrische Netzwerk berechnet, das vom Standort der Fahrzeuge abhängig ist. Für dieses Netzwerk werden in Abhängigkeit des Energiebedarfes der Fahrzeuge alle Spannungen und Ströme berechnet. Ergebnis der Berechnungen sind Datendateien ähnlich Messfiles. Einige hundert „Messgrößen“ liegen in ihrem Zeitverlauf vor: Ströme, Spannungen, Potentiale, Leistungen, Orte … Von diesen Größen werden Mittelwerte, Effektivwerte, Maxima und Minima benötigt. Weiterhin sind abgeleitete Größen gefragt wie Leistungen, Energien, Schieflasten im speisenden Drehstromnetz, Verluste und Phasenwinkel.

Die Ausgabe der Größen soll nicht nur zeit-, sondern teilweise ortsbezogen erfolgen, z. B. höchstes und niedrigstes Potential entlang der Strecke, höchste und niedrigste Spannung entlang der Strecke, mittlere und effektive Ströme in der Oberleitung und den Schienen. Die Eingabeparameter sollen ebenfalls ausgegeben werden: Steigungen über dem Weg, Höhe über dem Weg, Stromgrenzen der Fahrzeuge über der Spannung in Abhängigkeit vom Betriebszustand, Fahrwiderstände über der Geschwindigkeit und Fahrpläne als Ort der Züge über der Zeit. Nach Abschluss der Berechnungen soll ein Variantenvergleich erfolgen. Wunsch: Möglichst weitgehende automatisierte Erstellung einer HTML-Dokumentation der berechneten Simulationsergebnisse, die dem Kunden überreicht wird. Die HTML Dokumentation besteht aus Tabellen und Grafiken. Zur Reduktion des Entwicklungsaufwandes für die Auswertung und Präsentation der Simulationsergebnisse sollte auf eine Standard-Software zurückgegriffen werden.

Erste Version

Vorwiegend aus folgenden Gründen fiel die Wahl auf die Auswertesoftware FlexPro von Weisang:

  • Die hierarchisch organisierte Objektdatenbank, deren Größe nur durch die Festplattengröße beschränkt ist, ermöglicht die optimale Strukturierung der Simulationsergebnisse.
  • FlexPro verfügt über eine leistungsfähige Script-Sprache (FPScript), mit der reelle und komplexe Zeitsignale direkt verrechnet werden können.
  • Die frei parametrierbaren Diagramme und Tabellen erlauben auch spezifische Darstellungen, wie z. B. Fahrplandiagramme.

In einem ersten Ansatz wurde für FlexPro 5 ein spezieller Importfilter für die von der Simulationssoftware erzeugten Text-Ergebnisdateien realisiert, der nach manuell ausgelöstem Import die hierarchischen Berechnungsergebnisse in einen Unterbaum einer FlexPro-Objektdatenbank ablegt. Die Erstellung der Dokumentation erfolgte semi-automatisch ohne eine HTML-Ausgabe. Dabei wurde ein hoher Grad an Automation bereits durch extensive Verwendung der Formelsprache FPScript erreicht.

Vollständige Automatisierung

Mit der Verfügbarkeit von FlexPro 6 Professional stand dann einer weitgehenden Automatisierung der Simulationsauswertung nichts mehr im Wege. Diese Version erlaubt den Zugriff auf sämtliche Programmelemente über Automation-Schnittstellen (Objektmodell), so dass zuvor noch manuell ausgeführte Schritte nun mittels des integrierten VBA (Microsoft Visual Basic for Applications) automatisiert werden konnten. Durch den ebenfalls neu vorhandenen HTML-Export war auch das gewünschte Ausgabeformat realisierbar. Die Implementierung der Automatisierungsroutinen wurde von Weisang in enger Zusammenarbeit mit Siemens durchgeführt, wobei die Pflege des fertigen Projektes durch Siemens angestrebt und durch Schulung der Mitarbeiter sichergestellt wurde. In der endgültigen Lösung werden die Varianten wie zuvor auf mehreren Rechnern parallel berechnet. Die Simulationsrechner schreiben nun keine Ergebnisdateien mehr, sondern übertragen als Clients die Simulationsergebnisse direkt über Automation (DCOM) in eine Datenbank, die auf einem vorher bestimmten Server ausgeführt wird (siehe Abb. 2). 

Abb. 2: Zusammenwirken der Programmteile: Eingabedaten legen über das Simulationsprogramm und die DCOM Schnittstelle in FlexPro die HTML-Ausgabe fest.

Der jeweilige Simulationsrechner stößt nach Abschluss der Übertragung der Simulationsdaten die Auswertung der Variante auf dem Server-Rechner an. Nach Berechnung aller Varianten löst der letzte Client die Berechnung des Variantenvergleichs aus. An die Berechnung des Variantenvergleichs schließt sich der Export der gesamten Auswertung als navigierbares HTML-Web in einen für das Projekt festgelegten Ordner an. In den Eingabedateien für die Simulationsrechnung wird bereits festgelegt, welche Daten ausgegeben werden sollen. Das Simulationsprogramm steuert die notwendigen Funktionen und Makros von FlexPro über die DCOM Schnittstelle. Die Datenbank enthält unabhängig von der Ausgabe alle relevanten Daten. Es ist auch möglich, gleichzeitig mehrere Auswertungen anzuschauen, was den Überblick und den Vergleich zwischen den Rechnungen wesentlich erleichtert.

Implementierung und Eckdaten

Die verwendeten Diagramme und Tabellen werden in einem Vorlagenordner gespeichert. Die Vorlagen werden kopiert und nur soweit zwingend erforderlich per Automation geändert, damit die größtmögliche Flexibilität erhalten bleibt. Die Größe der Vorlagendatenbank liegt bei 5 MB. Mittlerweile sind zwei Sprachen für die Ausgabe wählbar. Die Vorlagendatenbank enthält die Auswertefunktionen, vorgefertigte Diagramme, Arbeitsblätter und Tabellen. Sonderauswertungen sind trotzdem jederzeit möglich z.B. bei einer Fehlersuche oder Sonderfragen. Alle Makros sind auch manuell ausführbar. Die Menge der anfallenden Daten beträgt inklusive der berechneten Werte bis zu 600 MB. Die Komplexität einer Fahrspielsimulation zeigen die folgenden Rechnerlaufzeiten: Die Dauer der Fahrplansimulation liegt je nach Komplexität des zugrunde liegenden Gleissystems und des Fahrplans zwischen wenigen Minuten bis zu 12 Stunden je Variante (2 GHz PC). Die Auswertung je Variante kann bis zu vier Stunden dauern, der Variantenvergleich bis zu sechs Stunden Rechnerzeit beanspruchen. Die VBA-Programmierung der Software ist nach demselben Objektmodell realisiert wie das Simulationsprogramm.

Im Einzelnen hat das zugehörige VBA-Projekt:

  • 27 Klassenmodule
  • 34 Module
  • 4 Formulare

Die grafische Ausgabe ist sehr umfangreich:

  • 500 Grafiken mit insgesamt 3000 Größen pro Variante.
  • 22 Tabellen pro Variante plus 10 Tabellen für den Variantenvergleich. Die Tabellen haben jeweils mehrere hundert Zeilen.

Fazit

Mit der Entscheidung für die Standardsoftware FlexPro konnte der Entwicklungsaufwand für die Auswertung der Simulationsdaten erheblich reduziert werden. Insbesondere die Kombination der Stärken von VBA und der Formelsprache FPScript erbrachte eine Reduzierung des Programmieraufwandes auf ein Mindestmaß. Durch Verwendung von Vorlagen für Dokumente, Tabellen und Diagramme sind einfache Änderungen ohne großen Programmieraufwand möglich (z. B. für die Übersetzung in eine andere Ausgabesprache). Der hohe Automatisierungsgrad bietet dem Ingenieur die Möglichkeit, sich intensiver mit der Optimierung der Bahnstromversorgung zu befassen.

 

Autor: Thomas Greif, Dipl.Ing. (FH) Leiter der Gruppe Systemtechnik Bahnstromversorgung Siemens AG

Artikel aus ‚MessTec & Automation 9/2003‘

Abb. 3: Typische Ausgabe für ein Unterwerk. Oben: Aufgenommene Scheinleistung, abgegebene Gleichstromleistung, Verlust; Unten: Spannung und Strom

Artikel teilen oder als Email versenden: